meta name="keywords" content="Lachen,phaenomenologisch,tiefenphaenomenologisch,wissenschaftlich,sozialpsychologisch,physiognomisch,anatomisch,medizinisch" /> Aus unserer Forschung

Aus unserer Forschung

Fortsetzung aus "Tiefenphänomenologie": Offizieller Bericht

III. Schwierigkeit der Vermittlung

1. Der erste deutsche Philosoph – von Beruf Schuster, akademisch ungebildet, ein Mann des Volkes – wurde in seinem Heimatland nicht beachtet, zu Lebzeiten sogar verfolgt. Er konnte dank der Unterstützung einiger Freunde seine Gedanken zu Papier bringen. Diese fanden in Frankreich und Holland Gehör und kamen über die Übersetzung des franz. Denkers Claude de St Martin, die Mathias Claudius vornahm, nach Deutschland zurück. Er gab 1792 durch J.F. Kleukers, Magikon oder Das Geheime System Einer Gesellschaft Unbekannter Philosophen. Leipzig 1784, Jakob Böhme weiten Kreisen bekannt. Dadurch lernte ihn der Münchner Philosoph Franz Xaver von Baader kennen, der zuerst mit seinem Werk nichts anfangen konnte, es dann aber erkannte und zum "Boehmius redivivus" wurde. Durch Baader entdeckte auch Schelling die Bedeutung Böhmes, der ihm vor allem den großartigen philosophisch-dichterischen Entwurf "Die Weltalter" (1811) verdankte. Es bedurfte also einer ganzen Generation von hochkarätigen Denkern im 18./19. Jahrhundert, um die Bedeutung eines Wissens zu entdecken, das unmittelbar aus dem Leben kam.
2. Der bescheidene, bis ans Ende seines Lebens geistig wach gebliebene Autodidakt, vermochte in die "Tiffe" der Signatur (das Wesen der Dinge) unvermittelt zu sehen und das dort Gesehene sogar phonetisch ursprünglich wiedergeben. Diese Identität von Ding und Bezeichnung nannte er Natursprache: Der Wortklang drückt das Phänomen aus, genauso wie die äußere Gestalt das Innere widerspiegelt.
     Vgl. Jakob Böhme, De signatura rerum (Von der Geburt und der Bezeichnung aller
     Wesen,  1622). Physikalische Phänomene, darunter insbesondere die Gravitation,
     chemische Eigenschaften, biologische Prozesse, welche die Wissenschaft später
     nach jahrelangen Forschungen klären konnte, sah der Teutonicus gleichsam mit
     bloßen Augen – zum Erstaunen von Fachgelehrten wie Newton, Kant,  Baader,
     Schelling, Novalis, Schopenhauer u.a.m. – Dies war schon damals ein Dorn im
     Auge des Etablierten. Denn die Frage zwingt sich auf: Hemmen nicht allzu oft
     gängige Systeme der Pädagogik die Entwicklung des Menschen? 
3. Der Sprung in diese Dimension des Seins ereignet sich aus dem schmerzhaften Bruch mit dem Bisherigen, wie er über die Wende seines Lebens im 19. Kapitel seiner Erstlingsschrift Aurora oder Morgenröthe im Aufgang berichtet. Das Ereignis wurde von der deutschen Romantik aufgenommen unter dem Motto: "zurück zu den Müttern". Von daher sollte die Geschichte nicht bloß durch Berichte und Interpretationen von Fakten weitertradiert, sondern in den Rang einer neuen Mythologie erhoben werden. Mythen sind mehr als nur Deutungen von Ereignissen; sie stiften das Ereignis.
4. Doch der Philosophus Teutonicus brauchte kein Zurück zu den Müttern, da er die weibliche Wiege des Seins nie verließ. Er brauchte auch nicht über Mythologie zu lehren. Sein Leben und Werk stellt visionäre Mythologie, ein metaphysisches Märchen dar. Viele Großen haben aus ihm geschöpft. Doch die kindliche Frische seiner Ursprünglichkeit bleibt einmalig.
5. Von Positionen der neuzeitlichen Philosophien aus ist ein Übergang zur Tiefenphänomenologie nicht möglich, da diese gerade das zum Thema macht, wovon sich jene abwenden. Aus dem Bruch mit dem Bestehenden findet der Mensch substanzielle Mitte, Unvergängliches, seine Wahrheit. Darin kommt er zu sich.
6. Wie das Individuum so muss auch die Geschichte durch Brüche und Zusammenbrüche ihren Weg erfinden. Der gegenwärtige Umbruch im digitalen Zeitalter ist nicht einer von vielen, nicht eine Wende innerhalb der bisherigen Geschichte. Ein Weg geht augenscheinlich zu Ende. Ob dieses auch Beginn bedeutet, wissen wir nicht. Doch erkunden, wo und wie es weitergehen könnte, bleibt des Menschen dringendste Pflicht.

IV. Unterschätzung der Selbstüberschätzung

1. Jahrhundertelang hatte sich der Mensch als Mittelpunkt des Weltalls betrachtet. Er ist es nicht. Doch er benimmt sich weiterhin so, als ob er es wäre. Diese Selbstüberschätzung hat Folgen, die nun im wissenschaftlichen Zeitalter sichtbar zu werden beginnen.
      Bild: Erdbeben. Alles ist ruhig bis der Boden wackelt und die Städte erschüttert
      werden. Nach der ersten Überraschung vergessen es naturgemäß die Menschen, leben
      weiter unbekümmert, bis sich der Boden erneut öffnet, und der Abgrund die Städte
      verschlingt. Bei der dritten Erschütterung löst sich der Planet in der kosmischen
      Unendlichkeit auf – und die Menschen versinken im Grauen ihrer Überheblichkeit.
2. Das Selbstverständnis des Menschen beruht in der jetzigen Ära (seit den ersten Vorsokratikern) auf imaginären Grundsäulen, die im Laufe der Geschichte zur Stütze der menschlichen Welt erfunden worden sind: Vernunft, Verstand, freier Wille. Diese Eigenschaften haben keine Wirklichkeit, sind nur Postulate, geforderte Grundsätze, die durch den Wunsch gestiftet werden. Nun erweisen sie sich haltlos und müssen durch Grundzüge des realen Menschen ersetzt werden.

V. Das Werk der Einbildungskraft

1. Vernunft nennt die Fähigkeit, große Zusammenhänge zu überblicken. Aber der Mensch lebt in der Einschränkung, ist von dieser wesenhaft geprägt, projiziert seinen Egoismus auf das ganze Weltall. Verstand bezeichnet die Fähigkeit, Sachverhalte zu analysieren. Aber der Mensch kann sich selbst nicht verlassen, findet sich letztlich in allem wieder. Freiheit ist eine Sehnsucht des Menschen. Aber er ist noch vor der Geburt vorbestimmt und wird von Leidenschaften, Affekten und Impulsen zu seinen Handlungen getrieben.
2. Gegen diese Wesensbegrenzung revoltiert er und imaginiert als Zufluchtsort die sogenannte geistige Welt. Doch diese geistige Welt übersteigt die Möglichkeiten des Menschen, der von seinem eigenen Werk allmählich überfordert und schließlich unterdrückt wird.
3. Die Menschheit lebt im Rausch. Trunkenheit als Zustand stellt eine Krankheit dar. Der erste Schritt zur Heilung besteht darin, die Krankheit zu erkennen. Derzeit dringendste Wissenschaft ist eine medizinische Philosophie, wobei die Medizin entsprechend zu reformieren wäre. Als eine solche philosophisch erneuerte Medizin versteht sich die Tiefenphänomenologie.

VI. Die Gestalt des homo realis

1. Der Mensch setzt sich aus seinem Insgesamt von Gefühlen und Stimmungen zusammen, die ihm zwar empirisch vertraut sind, deren Gesetzlichkeit jedoch bislang nur regional aus verschiedenen (etwa physiologischen, psychologischen) Gesichtspunkten herausgearbeitet worden ist. Es fehlt noch die Offenlegung und die Erhellung des Kerns, aus dem menschliches Leben entsteht und sich gestaltet.
2. Emmanuel Kant hat die Erhellung (= Kritik) der Region Vernunft, somit die Grundlegung für eine eingeschränkte Form der Naturwissenschaft, geleistet. (Das Wissen des Menschen ist planetarisch begrenzt und betrifft vermutlich bloß 7 bis 10% des kosmischen Ganzen.) Nun muss versucht werden, das System Mensch von der Ur-Kammer her zu erörtern, von welcher die Antriebe ausgehen. Die Motoren des Systems werden Tiefenphänomene genannt. Die Energie, die sie bewegt, sprießt aus dem Urquell des Seins selbst. Dieser entgeht uns als solcher. Die Wirkung der Energie kennen wir nur innerhalb der Grenzen unseres irdischen Daseins.
Das Erste ist Drang.
– Der Drang äußert sich im Menschen als Spannung nach außen: Verlangen nach etwas, das er nie vollständig zu erreichen vermag. Das grundlegende Tiefenphänomen heißt demnach Sehnsucht, ein Suchen, das nie endet. Daraus gehen hervor: Unruhe = Antrieb zur Kreativität und Sexualität, Verlangen nach Leben und Überleben, nach Weite, Abenteuerlust.
      Vgl."Über die Sehnsucht. Urgrund und Abgründe". José Sánchez de Murillo.
      Aufgang Verlag Augsburg, 2015. 
Das Zweite ist Gier.
– Die Kehrseite des Dranges nach Außen ist die Tendenz nach innen, die Saugtendenz, das Bedürfnis, alles an sich zu ziehen auf der Suche nach der im Medium der Endlichkeit unerreichbaren Fülle. Es ist die Gier. Daraus gehen hervor: Unersättlichkeit des Verlangens nach Besitz, Geld, Essen, Sex, Geiz, doch auch Sparsamkeit, Klugheit, Vorsorge leiten sich daraus ab.
      Vgl. einen ersten Versuch, die Gier zu erhellen, in der Abhandlung
      "Über Spiritualität – tiefenphänomenologisch", im Jahrbuch Aufgang (2015).
Das Dritte ist Invalidität.
– Invalidität meint hier, Unfähigkeit eine als adäquat angesehene Aufgabe zu erfüllen.
– Das Schicksal, mehr zu wollen, als man zu erreichen vermag. Dadurch wird es überall zu eng, alles verkehrt sich.
– Eine Folge davon ist die Interpretation des Menschen vom Manne her. (In mehreren Sprachen bezeichnet dasselbe Wort den Menschen und den Mann: homo, uomo, home, hombre. Aber das Tiefenphänomen der männlichen Herrschaftssucht betrifft den Menschen als solchen, unabhängig von Epochen und Kulturen, Mentalität und Sprachen.) Diese Einseitigkeit steht am Anfang des geschichtlichen Umherirrens mit der herrschaftssüchtigen Zerstörung der Natur, den einfältigen Konstruktionen von Metaphysik und Theologie, die über das unfasslich Unendliche aussagen zu können vermeinen, den machtgierigen politischen Gebäuden, die alles von der Macht her und auf die Macht hin entwerfen.
– Die Einrichtungen der menschlichen Welt gehen von einem halbierten, falsch konstruierten Menschen aus. So müssen alle Projekte, die per definitionem Freiheit, Reife, Selbstkontrolle voraussetzen, gleichzeitig durch zusätzliche äußere Maßnahmen (Gerichte, Polizei, Standesämter, dies- und jenseitigen Strafen) abgesichert und so im Keim ad absurdum geführt werden.
      Anmerkung: Der Mensch ist nicht fähig, endgültige Entscheidungen zu treffen, weil
      er sich ständig wandelt. – Einrichtungen auf Lebenszeit (wie Ämter, Ehe, Gelübde,
      Weihe etc.) erweisen sich als undurchführbar, wie die Praxis zeigt.
– Die Kluft zwischen dem, was man vom Menschen erwartet, und dem, was er tatsächlich zu leisten vermag, ist nicht leicht zu erklären. Die Unmöglichkeit, die Katastrophen zu erklären. Traditionell wird das Problem auf ein Prinzip zurückgeführt: das Böse. Dadurch wird die Invalidität aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.
Das Vierte ist Einsicht, Arbeit an sich.
– Der Drang nach oben, in die höheren Dimensionen, ist genauso fundamental wie die Verfallstendenz. Beide gehören zusammen.
– Die geistige Dimension wird von der basalen und mittleren getragen, durchdrungen, geprägt. Die Verbindung zwischen Sphären muss immer wieder hergestellt werden.
– Was oben ist, ist auch unten, und beides ist ein Ding, sagte Jakob Böhme. Das Geistige ist also nicht etwas anderes als das Fleischlich-Leiblichliche, aber es ist auch nicht dasselbe – sondern beides ist "ein Ding". Damit dieses "eine" (nicht das Eine) funktionsfähig wird, muss jede Sphäre in und für sich erhellt werden. Diese Selbstklärungsarbeit höbe und erhöbe vielleicht die menschliche Welt zu dem, was mit ihr evolutionsgeschichtlich gemeint sein könnte: eine "englische" Welt, die durch den "jovialischen" Schein glänzt, um es in der Jakob Böhme'schen Sprache auszudrücken.
      Anmerkung: Einschlägige Erörterungen finden sich in der Fundamental-Ethik.
      München 1988 und Jakob Böhme, Das Fünklein Mensch. Herausgegeben und meditativ
      kommentiert von José Sánchez de Murillo. München Kösel, 1998.

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